Omas und die Umwelt

Ein erschütternder Eindruck bei meiner ersten Reise nach Berlin vor über zehn Jahren war meine Beobachtung, daß es dort erwachsene Menschen gibt, die seriös Pfandflaschen sammeln.

In meiner Kindheit auf’m Dorf, wenn wir einmal zufällig an ein paar leeren Gerolsteinerflaschen vorbeikamen – die nahmen wir mit und lösten das Pfand von vielleicht 15 Pfennig im örtlichen Geschäft ein.

Es gab aber gar nicht soviel Flaschen in der Gegend, daß man daraus als Kind ein Geschäftsmodell aufbauen konnte. Es wäre auch ein lächerliches Unterfangen gewesen, sich auf die Suche nach Pfandflaschen zu machen, besonders für einen Erwachsenen.

Heute, 45 Jahre Fortschritt weiter und nach der Wiedervereinigung Deutschlands, sind erwachsene Flaschensammler keine Seltenheit. Bei jeder meiner Reisen nach Berlin habe ich Flaschensammler beobachten können.

Am Flughafen Tegel kommen die Sammler, Männer wie Frauen, in der Regel als Touristen verkleidet und durchstöbern kurz und mit viel Geschick die Abfallcontainer, in der Hand einen oder zwei Reisekoffer.

Aber auch im deutschen Westen ist das Flaschensammeln zu einer Erwerbsdisziplin geworden. Vor drei Jahren bei meiner Fahrt durch Roetgen staunte ich nicht schlecht bei einem motorisierten Duo, das im Sonntagsstau an jeder Bushaltestelle anhielt, wobei der Beifahrer aus dem Wagen ausstieg, den Abfalleimer durchwühlte und Pfandgut in einen Beutel steckte.

Wir Auslandsdeutsche haben einen anderen Blick auf Deutschland als die Inländer; seien sie nun Deutsche, oder nicht. Mein in Berlin ansässiger Kollege aus Malaysia sah nichts Verwerfliches darin, daß man sich in der Stadt bewußt auf die Suche nach Pfandgut machte, um es später in bare Münze zu wandeln. Er lebte wohl von einem Stipendium.

Bei meinen gelegentlichen Fahrten in die Bundesrepublik war mir entlang der Bahntrassen und an den Bahnhöfen schon längst aufgefallen, wie heruntergekommen Deutschland geworden ist. Unsauber, ungepflegt und billig auch an den großen Bahnhöfen wie Stuttgart, Frankfurt, Köln und Berlin.

Vor vielleicht vier Jahren saß ich in Berlin am Gendarmenmarkt draußen im Restaurant beim Abendessen, als eine ältere Dame, eigentlich eine schon alte Dame, eine Rentnerin mit Fahrrad auf uns zukam und Sträußchen zum Verkauf anbot. Man kennt bei diesen Anlässen ja die südländischen Rosenverkäufer.

Hier aber war es eine deutsche alte Frau. Auf dem Gepäckträger ihres Fahrrades hatte sie einen Korb voll mit kleinen Sträußchen, mit denen wie von Restaurant zu Restaurant fuhr, um sie den Gästen feilzubieten, wie sie mir sagte.

Natürlich hatte ich sie in ein Gespräch verwickelt, um mehr über sie und ihr Leben zu erfahren. Wie ich das so häufig tue, wenn ich unterwegs Menschen treffe. Sie sagte, es sei für Menschen wie sie nicht so einfach, mit der Rente über die Runden zu kommen.

Sie bekomme das Material für die Sträuße kostenlos aus dem Abfall in den Gartensiedlungen, in die sie mit dem Fahrrad hinfahre; daraus bastele sie dann zuhause die Sträuße. Nun sei sie unterwegs in Berlin-Mitte, um sie zu verkaufen. Zu 5 Euro das Stück.

Vergangene Woche erregte der Westdeutsche Rundfunk, immer noch eine Gallionsfigur im deutschen Bildungsfernsehen, man denke nur an die weltberühmten Lach- und Sachgeschichten in der Sendung mit der Maus, Aufsehen mit einem Kinderchor, der in einem Lied eine Oma besang, die sich mit ihrem Konsum an der Umwelt versündige, weil sie täglich Fleisch esse und ein großes Auto fahre.

Nicht überall wurde die Begeisterung über das Kinderlied geteilt, welches der WDR offiziell als Satire bezeichnete. Es gab einen öffentlichen Aufschrei, vor allem von “rechts”, wenn man den Analysen einiger Medien glauben darf, der nicht ohne Folgen blieb:

Nach heftiger Kritik im Netz löschte der Sender das Video. WDR-2-Chef Jochen Rausch entschuldigte sich am Samstag “für die missglückte Aktion”. Das “Satire-Video” habe “ganz offensichtlich bei vielen Menschen Gefühle verletzt”. Das Wort “Umweltsau” sei unpassend. “Das war nicht so gemeint, ist aber so aufgefasst worden. Der Fehler liegt bei uns, dafür entschuldige ich mich.” 

Ich kann die Kinder aus dem Chor nur beglückwünschen. Offenbar geht es ihren Großmüttern gut. Besser jedenfalls als den allermeisten Großmüttern, an die ich mich erinnern kann. Und ich kenne viele.

Die alte Dame vom Gendarmenmarkt in Berlin, ich weiß nicht, ob seine eine Großmutter oder gar Mutter war. Vielleicht benötigte sie das Geld aus dem Verkauf der Sträußchen, um sich den täglichen Fleischkonsum leisten zu können. Daß die Einkünfte für den Kauf und Unterhalt eines Sports Utility Vehicle (SUV) reichten, das bezweifle ich.

Soviel wollte ich eigentlich auch nicht von ihr wissen. Die alte Dame, Oma oder nicht, passte so gar nicht auf den Stereotypen, der vom WDR Kinderchor besungen wurde.

Ich kaufte von ihr zwei Sträußchen …

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