Die Höhe 605

Jetzt – in Korea – wurde ich darauf aufmerksam gemacht, daß es 1979 in Süd-Korea Flugblätter in der Nachbarschaft gab, auf denen vor möglichen Spionen aus dem kommunistischen Norden gewarnt wurde:

“Ist in Ihrer Nachbarschaft jemand neues eingezogen? Könnte er ein nordkoreanischer Spion sein?”

당신 동네로 이사 한 사람 있습니까?

그는 북한의 스파이 일 수 있습니까?

1979. Lange her, oder doch nicht? Was habe ich damals gemacht?

Ich bin in der Nordeifel aufgewachsen. Militärübungen waren dort damals Gang und Gäbe. In Belgien gab es Camp Elsenborn, von wo aus Artillerieübungen auf das benachbarte deutsche Camp Vogelsang erfolgten. Man schoß in der Tat Grananten über ziviles Gebiet in Wahlerscheid. Bei uns daheim rüttelten immer wieder die Fensterscheiben ob des Donners, der von den Haubitzen kam.

Mit dem Gebrüll von Kampfflugzeugen bin ich aufgewachsen. Starfighter aus Nörvenich, F-14 und später F-15 aus Spangdahlem. Eine “belgische” Mirage stürzte neben unserer Schule ab – während der Matheklausur. Jährlich wurde unser Dorf belagert von belgischen und englischen Soldaten – die wir Jungs wiederum regelmässig belagerten und ausfragten. Die Soldaten interessierten sich nur dafür, ob wir eine Schwester hatten … .

Immer wieder rollten Panzerkolonnen über die gut ausgebaute Bundesstraße bei uns in der Provinz hinunter ins Tal. Militärfahrzeuge und Privatautos mit amerikanischen offiziellen grünen Kennzeichen waren keine Seltenheit auf unseren Straßen. Die Yankees aus West Virginia und Tennessee fühlten sich sicher heimisch im abgelegene Hunsrück und in der Eifel.

Nur ein einziges mal wurde ich gewahr, daß deutsche Soldaten in der Nähe lagerten. Eine Seltenheit. Bald erfuhr ich den genauen Standort des Manövers und fuhr mit meinem Fahrrad dorthin – nur wenige Kilometer. Es war ein schöner Sommer in den späten 70er Jahren. Es könnte 1979 gewesen sein. Ich war damals gerade “Teenager”.

Im Wald – an einem Weg und einer Lichtung traf ich dann auf eine handvoll junger deutscher Soldaten, mit denen ich sofort ins Gespräch kam. Sie hatten sich am Wegesrand einen Kampfstand gegraben und waren leutselig und gesprächig.

Sie gehörten zur Luftwaffe und hatten vor ihrer Einberufung zum Bund gerade ihr Abitur gemacht. Wenn ich mich recht erinnere, waren sie in Geilenkirchen stationiert. Aber die Deutschen waren nicht alleine. Sie hatten amerikanische Soldaten bei sich, welche, wie ich heute weiß, die Raketen bewachten, die sie in die Eifel gebracht hatten.

Später daheim erfuhr ich aus sicherer interner Quelle, das es sich bei dem besagten Ort im Wald um die “Höhe 605” handelte.Ein militärisch-strategischer Begriff.

Ich erinnere mich noch genau: “What happened?”, fragte einer der beiden amerikanischen Soldaten (Johnson sein Name – daran erinnere ich mich noch), die den Weg hinaufgestiefelt kamen und sich bei den deutschen Soldaten über irgendeinen Sachverhalt erkundigten.

Ich war begeistert, als ich erfuhr, das nur 50 Meter weiter in einer unlichten Lichtung eine Pershing Rakete stand. Unterdessen fragten mich die Rekruten, ob es irgendwo in der Nähe einen Laden zum Einkaufen gäbe. Ich erklärte ihnen die Örtlichkeiten und sie merkten bald, daß sie selber wohl nicht die wenigen Kilometer zum Geschäft machen konnten, ohne straffällig abwesend zu werden.

Und so fragten sie mich, ob ich ihnen etwas aus dem Geschäft besorgen könne. Als die Soldaten abgewogen hatten, ob sie mir trauen konnten oder nicht, reichten sie mir zwei Zehnmarkscheine mit der Bitte, 2 Flaschen Korn für sie mitzubringen. Stolz wie Oskar schwang ich mich auf den Sattel und düste los – “im Auftrag der Bundeswehr”.

Der Alkoholkauf im Dorfladen klappte problemlos. Die Inhaberin, die an der Kasse bediente, hatte  keine Rückfragen. Ich war damals höchstens 14. Die beiden Kornflaschen steckten in einer Plastiktüte, die ich am Lenker befestigt hatte. Ich fuhr vorsichtig in den Wald zurück, damit die Flaschennicht etwa aneinanderschlugen und zerbarsten. Aber – die Straße durch den Wald war größtenteils asphaltiert.

Unterwegs begegnete ich einem Dkw mit Feldjägern. Ich befürchtete, sie könnten mich anhalten und kontrollieren. Obwohl dies hier mein Territorium war. Schließlich war ich am Ziel. Die Soldaten staunten nicht schlecht, als ich die Tüte mit dem Korn präsentierte. Sie waren hocherfreut und bedankten sich mit Worten und mehreren Tafeln Schokolade.

Aber einen richtigen Wunsch hatte ich. Ich wollte die Rakete sehen! Das war die Gelegenheit. Und das sagte ich dann auch. “Kann ich mal die Rakete sehen!” Und wieder zögerten und diskutierten die zwei oder drei Deutschen, aber einer ging dann mit mir los den Nebenweg hoch, dann rechts in den Wald und dann noch einmal rechts:

Da. Unter einem grossen Tarnnetz eng zwischen den Bäumen ein riesen Lastwagen mit einer riesen Rakete drauf. Das war also die ominöse Pershing II, von der man in der Zeitung gelesen und im Fernsehen immer wieder gehört hatte.

Dem Luftwaffensoldaten war nicht allzuwohl dabei, was er mir zeigte und wollte mit mir dann auch gleich wieder zurück. Kein Problem. Ich war sehr beeindruckt. Zufrieden und ging wieder zurück zum Hauptweg – auf dem nun eine “Ente” hielt. Ein Citroen 2CV.

Der Motor war aus, in dem Auto saßen zwei attraktive Frauen um die 30. Und sie plauderten intensiv und freundlich und lustig mit den deutschen Soldaten. Das waren keine Frauen aus dem Dorf. Das waren Stadtfrauen. Ihr Auto hatte ein Kennzeichen aus Bonn. Wie (zum Teufel) und vor allem warum kam so ein Auto auf diese Waldstraße?

Hier konnten nur Waldarbeiter fahren, Förster, Jäger oder allenfalls Zoll und Bundesgrenzschutz. Selbst die Polizei kam nicht hierhin. Hier im großen Wald gab es ein generelles Verbot für Kraftfahzeuge.

Vor 2 Jahren bin ich nochmal dagewesen auf einer schönen Winterwanderung ohne Schnee.

Jetzt, 40 Jahre später, frage ich mich umso mehr, warum diese beiden Frauen mit ihrer Ente von Bonn zur Höhe 605 fuhren  – gerade dort, wo die NATO mit ihren Raketen übte.

 

 

 

 

 

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