Month: August 2017

Heilpraktiker und die Götter in Weiß

Die Ärzte und ihr Monopol.

Das Studium der Medizin ist die in Deutschland am besten organisierte universitäre Ausbildung. Als ich während meines Physikstudiums beschloß, meinen Anspruch auf den Medizinstudienplatz einzulösen, staunte zunächst einmal Professor Genzel nicht schlecht, als ich mir bei ihm meine Physik-Scheine für das Medizinstudium anrechnen ließ: “Wie haben Sie das geschafft?”

Er war davon ausgegangen, daß ich wie viele andere auf Umwegen an den Studienplatz gekommen war und Physik nur als Ausweichstudium begonnen hatte. Weit gefehlt: ich hatte ein sehr gutes Abitur und viele Punkte im ZVS numerus clausus. Ich war ein ordentlicher Medizinanwärter. Aber ich hatte Physik als Neigungsfach gewählt. Mit dem Abschluß meines Physikstudiums hätte ich den Anspruch auf meinen Medizinstudienplatz verloren.

Als mein erstes Medizinsemester begann, staunte ich nicht schlecht. Die Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen (ZVS) hatte offenbar den politisch gewünschten Geschlechterproporz durchgesetzt. Zu 50% Herren und zu 50% Damen. Diese waren im übrigen alle gutaussehend, meist gut gewachsen, teils sonnengebräunt, sympathisch, sportlich, gesund, gut gekleidet.

Daß es sich bei Ärzten um Götter in Weiß handelt – jedenfalls in der Vorstellung des Normasterblichen – kommt also nicht von ungefähr. Der Platz auf dieser Seite und auch meine Zeit reichen nicht aus, um alle Medizineranekdoten, die ich während meiner Studien erlebt habe, aufzuschreiben.

Eines der medizinischen Praktika nannte sich Berufsfelderkundung. Mit dieser Veranstaltungsreihe sollten die angehenden Mediziner darauf vorbereitet werden, das nicht jeder von Ihnen später einmal Allgemeinmediziner mit eigener Praxis oder gutverdienender Facharzt werden könne. Wir besuchten also an einem Tag die Pathologie im Klinikum der RWTH und erhielten einen ersten Einblick in die medizinische Forschung – welche nicht so gut vergütet wird, wie die fachärztliche Praxis am lebenden Patienten.

An einem anderen Tag gingen wir in ein von einer Glaubensgemeinschaft geführtes Hospiz. Ein Geistlicher erklärte uns, wie die tägliche Arbeit mit Patienten aussieht, bei denen keine Aussicht auf Heilung mehr besteht und bei denen viele Körperfunktionen und geistige funktionen bereits ausgeschaltet sind.

Später besuchten wir das Gesundheitsamt. Einer der höheren ärztlichen Beamten beklagte sich uns gegenüber “Die Heilpraktiker, die haben gar kein Studium und sind doch so gut in der Bevölkerung anerkannt”. Dieser neidvolle Satz kommt mir imer wieder in Erinnerung, wenn aus der Ärzteschaft Kritik an den Heilpraktikern und Vertretern ähnlicher Heilberufe laut wird.

Als mein Vater sich vor fast 50 Jahren entschloß, keinen Tabak mehr zu rauchen, fiel ihm das nicht leicht. Aber wenige Sitzungen zur Akupunktur beim Heilpraktiker machten der Sucht nach dem Nikotin ein Ende.

Meine Halsentzündungen, die ich jährlich im Frühjahr zu Karneval und im Herbst zu St. Martin bekam, sollten durch die Entfernung meiner Mandeln durch den Chirurgen endgültig beseitigt werden. Aber erst die Spritze durch den Heilpraktiker hatte Erfolg.

Um die Erfolgsbilanzen von Ärzten und Heilpraktikern noch weiter zu relativieren, könnte ich jetzt weitere Beispiele bringen, wo der Arztbesuch ohne Erfolg geblieben ist. Darum soll es hier aber nicht gehen.

Kürzlich hat der Münsteraner Kreis ein Memorandum veröffentlicht, in dem er fordert, daß der Heilpraktikerberuf entweder abgeschafft oder als eine unter ärztlicher Aufsicht stattfindende Ausbildung reguliert und kontrolliert werden soll.

Ein oft gehörtes Argument bei der Kritik an Heilpraktikern ist, daß die Erkenntnisse und Lehren der Schulmedizin auf wissenschaftlichen Fakten beruhen, während die alternativen Heilberufe auf einem mystisch verbrämten Weltverständnis beruhten.

Die Medizin-Wissenschaftler verkennen dabei eines der elementarsten Prinzipien der Wissenschaft, nämlich des Fragens und des Zweifelns. Mit der Kenntnis aller möglichen Krankheitsbilder ist längst nicht immer Heilung in Sicht. Die Medizin kann noch so sehr versuchen, den Menschen in seiner Krankheit zu kurieren – am Ende stirbt er doch.

Häufig suchen Menschen den Heilpraktiker und Schamanen erst auf, wenn der Arzt und die Pharmazie, wenn die Schulmedizin nicht mehr weiter weiß. Die menschlichen Leiden sind nicht immer organischer und physiologischer Natur. Wo ist der Schaden, wenn ein Mensch von seinem Leiden durch Naturmedizin geheilt wird, aber eine rationale Erkärung hierfür nicht möglich ist?

Der Münsteraner Kreis und viele seiner Vorgänger wollen uns vor Scharlatenen schützen. Aber gibt es unter den studierten Medizinern keine Scharlatane? Wie hoch ist die Versagensquote und Mißbrauchsquote bei den approbierten Ärzten?

Unser Gesundheitssystem beruht im wesentlichen auf der Schulmedizin und der ihr verwandten Pharmazie. Beides sind enorme Geschäftsmodelle mit einem unvorstellbaren Milliardenvolumen unserer Volkswirtschaft. Wir leiden unter überbordenenden Kosten des Gesundheitssystems. Wie hoch ist der Anteil des Umsatzes und des Profits der Heilpraktier am Gesamtvolumen des Gesundheitsgeschäfts?

Springt der Münsteraner Kreis jetzt etwa auf den Fakten-Zug auf, weil er seine Chance wittert, das Heilpraktikerwesen austrocknen und damit das Monopol seiner Zunft vollenden zu können? Ich denke, so ist es.